Ein digitaler Leuchtturm im echten Norden

Rolf Lührs
4 min readFeb 16, 2021

In vielen Bereichen ist die Beteiligung der Öffentlichkeit und sogenannter Träger öffentlicher Belange gesetzlich vorgeschrieben. Dies gilt für die Bauleitplanung und für die Regional- oder Landesplanung genauso wie für Planfeststellungs- und Genehmigungsverfahren nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz. Schleswig-Holstein ist bundesweit Vorreiter bei der Digitalisierung dieser Beteiligungsverfahren.

Wie und zu welchem Zweck in Deutschland Flächen genutzt werden dürfen, wird im Rahmen der verbindlichen Bauleitplanung festgelegt. Ergebnis dieses Verfahrens sind Bebauungspläne, die kleinräumig — durchschnittlich für etwa zwei Quadratkilometer — Teilgebiete ausweisen, in denen gewohnt und Gewerbe betrieben werden darf, oder die als Industrie- oder Naherholungsgebiete genutzt werden können.

Die Bauleitplanung ist im Baugesetzbuch bundesweit einheitlich geregelt und fällt gleichzeitig in den Bereich der kommunalen Selbstverwaltung. Denn es sind die Kommunen, die das gesamte Verfahren sowie die Beteiligung der Öffentlichkeit und der sogenannten Träger öffentlicher Belange eigenständig durchführen. In Deutschland gibt es jährlich ca. 12.000 Beteiligungsverfahren zur Feststellung von Bebauungsplänen und 4.000 Verfahren für die Aufstellung von (oder Änderungen in) Flächennutzungsplänen.

Und das ist durchaus aufwändig: Planzeichnungen und Textdokumente müssen erstellt und allen Interessierten bzw. Betroffenen zur Verfügung gestellt werden. Die eingehenden Einwendungen und Stellungnahmen müssen geprüft, abgewägt und beantwortet werden. Dies alles läuft dank der bundesgesetzlichen Regelungen in allen Kommunen nahezu gleich ab. Nicht zuletzt deshalb ist das Verfahren auch ein idealer Kandidat für eine vollständige Digitalisierung des gesamten Ablaufs.

Lösung für Kommunen nach dem Prinzip “Einer für Alle”

Die sollte allerdings einheitlich erfolgen und nicht in jeder Kommune unterschiedlich. Schleswig-Holstein hat das schon 2012 erkannt und mit BOB-SH als erstes Bundesland allen angehörigen Kommunen das gleiche System kostenlos zur Verfügung gestellt. Das hat unter anderem den Vorteil, dass sich Organisationen, Umweltschutzverbände und Behörden nur einmal registrieren müssen und sich dann auf der gewohnten Plattform beteiligen können — egal, ob das Verfahren nun in Flensburg oder in Barsbüttel stattfindet.

Daran hat sich Brandenburg inzwischen ein Beispiel genommen und stellt seit kurzem den Kommunen auf der gleichen technischen Grundlage ebenfalls ein System für die Bauleitplanung kostenlos zur Verfügung.

Aber auch Kommunen außerhalb von Brandenburg und Schleswig-Holstein steht diese Online-Beteiligung mittlerweile als kostengünstige Software-as-a-Service zur Verfügung. Das ist auch im Sinne des Prinzips “Einer für Alle”, das auch das Onlinezugangsgesetz (OZG) fordert. Noch dazu, wenn die Lösung wie in diesem Fall bisher ohne länderübergreifende Koordination und ohne Mittel aus dem Konjunkturprogramm ausgekommen und direkt aus der Praxis entstanden ist.

Regional- und Landesplanung als OZG-Vorbild

Die guten Erfahrungen aus der Bauleitplanung haben Schleswig-Holstein dazu bewogen, auch die Beteiligung in der Regional- und Landesplanung auf einer zentralen Plattform umzusetzen. Am Beispiel der Planung der potenziellen Flächen für Windkraftanlagen lässt sich leicht verdeutlichen, dass die Anforderungen hier noch einmal erheblich höher sind. So sind einerseits die relevanten Geodaten erheblich komplexer und müssen im GIS-Client entsprechend dargestellt werden. Außerdem müssen hier erheblich mehr Einwendungen und Stellungnahmen verarbeitet werden. Allein bei der 2. Auslegung der Windenergieflächenplanung waren es mehr als 6000.

Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Die Lösung aus Schleswig-Holstein wird als Best-Practice für die OZG-Umsetzung genannt und hat den Reifegrad 3 erlangt, welcher aussagt, dass eine Leistung vollständig online durchgeführt werden kann. Im Onlinezugangsgesetz ist festgelegt, dass bis Ende 2022 fast 600 Leistungen des Bundes, der Länder und der Kommunen online verfügbar sein müssen.

Integration von Online-Komponente und Fachverfahren

Eine vollständige Online-Durchführung der Beteiligung ist überhaupt nur dann möglich, wenn Online-Komponente und Fachverfahren digital integriert angeboten werden können. Schließlich geht es um eine komplexe Interaktion zwischen Nutzenden und System. Texte und Geodaten müssen daher nutzungsfreundlich dargestellt, Einwendungen sollten auf Textstellen oder georeferenzierte Objekte bezogen werden können. Außerdem benötigen die Verfahrensträger umfangreiche Auswertungsfunktionen, damit die Einwendungen nicht per Tabellenkalkulationen ausgewertet werden müssen, worin zudem ein unpraktischer und potenziell zeitraubender Medienbruch bestünde.

Diese Anforderungen bestehen für alle genannten Verfahren, weswegen solche Funktionen verfahrensübergreifend genutzt werden können. Schleswig-Holstein hat über bob-sh.de daher auch ganz unterschiedliche Verfahren durchgeführt: Zwischen 2016 und 2020 gab es allein vier Regionalplanverfahren zum Thema Windenergieflächen. Darüber hinaus wurden Beteiligungen zur Aufstellung eines Landschaftsrahmenplans und zur Landesstrategie Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) durchgeführt. Etwa 20.000 Einwendungen und Stellungnahmen sind so bereits digital eingeholt und ausgewertet worden.

Auch bei der Online-Beteiligung im Rahmen von Genehmigungsverfahren zum Bundes-Immissionsschutzgesetz (https://bimschg.bob-sh.de/) geht Schleswig-Holstein mit gutem Beispiel voran. Während die Beteiligung der Träger öffentlicher Belange hier schon seit längerer Zeit online erfolgt, werden jetzt auch die ersten Öffentlichkeitsbeteiligungen digital durchgeführt. Was zunächst nach einem sehr speziellen Anwendungsgebiet klingt, könnte sich noch als Pioniertat mit weitreichenden positiven Folgen für ganz Deutschland erweisen. Gemeinsam mit den Planfeststellungsverfahren ist es vor allem dieses Genehmigungsverfahren, das derzeit den Bau klimafreundlicher Infrastruktur verlangsamt. Gegenwärtig werden außerhalb Schleswig-Holsteins weder die Beteiligungsverfahren noch die Auswertung der vielen Einwendungen digital durchgeführt. Zu diesem Thema hatte ich bereits hier berichtet.

Und wie sieht es mit Planfeststellungsverfahren aus, die ja beispielsweise vor der Errichtung von Strom- und Schienentrassen durchlaufen werden müssen? Schleswig Holstein stellt auf BOB-SH immerhin schon alle Planungsunterlagen online zur Verfügung. Mit der mittlerweile etablierten Partizipationsinfrastruktur dürfte es bis zur Online-Beteiligung nur noch ein kleiner Schritt sein.

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Rolf Lührs

Gründer und Geschäftsführer der DEMOS E-Partizipation GmbH. Beschäftige mich seit zwanzig Jahren mit Partizipation, Raumplanung und Digitalisierung.